Philosophie
Einmal habe ich ein Gespräch von zwei Studentinnen gehört, die vor Beginn meiner Lehrveranstaltung schon im Seminarraum saßen. Es ergab sich folgender Dialog:
A: „Gehst Du denn am Donnerstag zum Seminar von Herrn XY?“ B: „Nee, ich brauche die Zeit zum Lernen.“ Vermutlich war es nicht genau in diesem Sinne gemeint, dennoch brachte mich der Satz zum Nachdenken: „Ich gehe nicht in die LEHRveranstaltung, weil ich die Zeit zum LERNEN brauche.“ Eigentlich dürfte hier kein Widerspruch bestehen. Sollten doch LEHRveranstaltungen in erster Linie LERNgelegenheiten darstellen. Auf der anderen Seite treffe ich ab und an auf Lehrende, die sich unglaublich viel Mühe geben, Studierende trotz abgeschaffter Anwesenheitspflicht (in NRW) zur Präsenz zu nötigen. Die Frage ist: warum eigentlich? Die individuellen Gründe des Fernbleibens der Studierenden werden häufig übersehen. Ich habe versucht, in vielen Gesprächen mit Studierenden solche Gründe zu finden – und mich auch daran zurück zu erinnern, warum ich selbst manche Lehrveranstaltungen besucht habe und andere nicht. Es zeigt sich, dass mehr Studierende, als man glauben mag, einer Lehrveranstaltung nicht aus reinem Unwillen fern bleiben. Tatsächlich wollen die meisten Studierenden lernen – doch finden sich nicht alle in allen Lehrveranstaltungen wieder. Das kann am Inhalt oder am Format liegen. Manche Studierende lernen einfach lieber alleine zu Hause oder in Lerngruppen. Doch statt diese individuellen Lernstrategien anzuerkennen und zu fördern, versuchen Schulen wie Universitäten und Hochschulen immer noch vorrangig zu erreichen, dass sich alle Studierenden auf den individuellen Lehrstil des einzelnen Lehrenden ausrichten. Daraus folgt: Lehrende an Universitäten und Hochschulen sollten sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie sie es schaffen, dass sich möglichst viele Studierende an den Lehrstil einzelner Lehrender anpassen. Wir sollten Ideen entwickeln und Lösungen dafür finden, wie die Bildungseinrichtungen möglichst vielen Studierenden einen individuellen Zugang zum Lernen ermöglichen. Freiräume für individuelle Erkenntniswege bieten ein wesentlich größeres Potential für außerordentliche Lernergebnisse als engmaschige Überwachung von Lernverhalten. |
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